Sonntag, 21. Juli 2013

Antrag: c) Keine verfassungskonforme „Anwendung“ durch § 31 a Abs. 3 SGB III


c) Keine verfassungskonforme „Anwendung“ durch § 31 a Abs. 3 SGB III

Im Bereich der Sanktionen zwischen 30 % und 100 % lässt sich ebenfalls keine verfassungskonforme Auslegung erreichen. Insbesondere durch ein Zusammenspiel der § 31a Abs. 1 SGB II i. V. m. § 31a Abs. 3 SGB II ist keine Verfassungskonformität herstellbar.

Eine Einzelfallentscheidung der Verwaltung über die Vergabe von Sachleistungen kann bereits per se unmöglich einen Verfassungsverstoß beheben, der in einer anderen, sie bedingenden Rechtsnorm selbst begründet liegt.

Eine solche „verfassungskonforme Anwendung“ durch Zusammenlesen der Sanktionsnormen mit der Sachleistungsregelung des § 31a Abs. 3 SGB II wird jedoch in der Literatur zum Teil propagiert:

vgl. z. B. Davilla, SGb 2010, 557, 559 und Lauterbach, ZFSH/SGB 2011, 584, 585; auch Stellungnahme des DRB zur öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestags vom 6.6.2011, Nr. 3. Annahme einer Verfassungswidrigkeit insoweit: Richers/Köpp, DÖV 2010, 997, 1003 f.

Auch in der Rechtsprechung wird diese „Lösung“ zur Anwendung der Sanktionsnormen offenbar vertreten, z. B. indem Sanktionen um 100 % für verfassungswidrig gehalten werden, sofern der Grundsicherungsträger nicht zugleich ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen gewährt[Hervorh. d. Verf.],

so SG Berlin vom 19.8.2009 – S 26 AS 5380/09, juris Rn. 29 f., im Anschluss an Landessozialgericht Berlin 10. Senat vom 16.12.2008 - L 10 B 2154/08 AS ER-, Rn. 10); vgl. auch LSG Niedersachsen, Beschluss vom 21.4.2010 – L 13 AS 100/10 B ER, Rn. 7 f.

Doch zum einen bleibt die Sanktion in Höhe von mindestens 30 % in allen darüber liegenden Sanktionsfällen trotz der Sachleistungsvergabe bestehen. Eine Kompensation durch Sachleistungen kommt überhaupt nur bei Sanktionen ab 40 % (bis zu einer Höhe von ca. 46 % des Regelbedarfs) in Betracht. Da nach dem Gesetzgeber allein der volle Regelsatz das menschenwürdige Existenzminimum sicherstellt (100 % des Regelbedarfs, eventueller Mehrbedarfe und der Kosten für Unterkunft und Heizung nach §§ 20 ff. SGB II), scheidet eine verfassungskonforme Anwendung bereits aus diesem Grund aus.

Zum anderen ist in diesen Fällen die Gewährleistung von Sachleistungen von der Antragstellung durch den Betroffenen abhängig. D. h., es braucht ein aktives Verhalten des (meist gerade aufgrund seiner fehlenden Aktivität sanktionierten) Bedürftigen als Zwischenschritt, um überhaupt eine Kompensationsmöglichkeit zu erreichen. Selbst dann liegt die Bewilligung der Sachleistungen noch im Ermessen der Verwaltungsbehörde.

Das in § 31a Abs. 3 S. 1 SGB II festgelegte Ermessen bei der Sachleistungsgewährung, wonach „der Träger auf Antrag in angemessenem Umfang ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen erbringen (kann)“ [Hervorh. d. Verf.], lässt sich schwerlich als gebundene Entscheidung lesen.

Eine solche Auffassung, das „kann“ im Gesetzestext als „muss“ auszulegen, widerspräche dem eindeutigen Wortlaut der Norm und überschreitet damit die Grenze zulässiger Auslegung.

Außerdem hat der Gesetzgeber eine Ermessenregelung gerade beabsichtigt. Denn nach § 31a Abs. 3 S. 2 SGB II „hat“ der Träger in Fällen, in denen minderjährige Kinder im Haushalt des Bedürftigen leben, die Leistungen zu erbringen. Hier wurde der Verwaltung vom Gesetzgeber also in bewusstem Gegensatz zum Vorsatz kein Ermessenspielraum zugestanden. Dem entspricht die Gesetzesbegründung, in der explizit festgehalten wurde, dass die „Erbringung von Sachleistungen an Bedarfsgemeinschaften mit minderjährigen Kindern als Verpflichtung zur Leistungserbringung“ [Hervorh. d. Verf.] auszugestalten sei.

Bundestags-Drucksache 17/3404, S. 112.

Daraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass eine zwingende Sachleistungsvergabe eben gerade nicht für die übrigen Haushalte gelten sollte.

Eine Ermessensreduzierung auf Null bei der Sachleistungsvergabe zumindest im Fall einer 100-%-Sanktion anzunehmen – wie in der Literatur und Rechtsprechung zum Teil befürwortet – scheidet gleichfalls aus. Sie könnte ebenfalls lediglich zur Abmilderung der (von Grund auf verfassungswidrigen) Folgen einer hohen Leistungskürzung führen, den Verfassungsverstoß selbst jedoch nicht beseitigen.

Ebenso scheidet es aufgrund des eindeutigen Wortlauts („auf Antrag“) aus, in diesen Fällen Sachleistungen etwa ohne Antrag zu gewähren.

Auch die Gewährung staatlicher Leistungen über „Umwege“ durch kompensatorische Zuschläge an die übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft

(vgl. zu diesem Vorschlag Geiger, info also 1/2010, S. 1 ff. (9)),

würde bloß zu einer Umgehung der unmissverständlichen gesetzlichen Regelung führen.

Wenn das Verwaltungshandeln jedoch nur dann das Existenzminimum sicherstellt, wenn es gerade nicht auf Grundlage sondern entgegen einer leistungskürzenden Rechtsnorm Leistungen gewährt, kann es offensichtlich nicht zu einer verfassungskonformen Auslegung der leistungskürzenden Rechtsnorm führen. Im Gegenteil ist dann in Wirklichkeit deren Nichtanwendung im Einzelfall die Voraussetzung für die Sicherstellung des menschenwürdigen Existenzminimums.

Die an dieser Stelle lediglich angedeuteten, teilweise geradezu akrobatischen „Lösungen“ der rechtswissenschaftlichen Literatur zur verfassungskonformen Auslegung der Sanktionsnormen laufen im Ergebnis allesamt auf die Aufrechterhaltung bestimmter notwendiger Leistungen trotz des tatbestandlichen Eingreifens der §§ 31a ff. SGB II hinaus. Sie führen damit zu einer Umgehung des Wortlauts der Norm und laufen der gesetzgeberischen Intention zuwider, die gerade in der engen und ausnahmslosen Verknüpfung der staatlichen Leistungsgewährung mit Pflichten des Hilfebedürftigen liegt und damit bewusst von den individuellen Bedarfen der Sanktionierten abstrahiert.

 

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