cc) Einheitliches Grundrecht
Rechtsdogmatisch lässt sich das Gewährleistungsrecht auf ein
menschenwürdiges Existenzminimum indes nicht
in einen (physischen)
„Kernbereich“ und einen darüber hinaus gehenden (soziokulturellen) „Randbereich“ aufteilen.
Zu teilweise abweichenden Ansichten in der Literatur s. Anhang.
Vielmehr beinhaltet es eine
„einheitliche
grundrechtliche Garantie, die sowohl
die physische Existenz
des Menschen […] als auch die
Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu
einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen
und politischen Leben umfasst.“ [Hervorh. d. Verf.]
BVerfG, 1 BvL 1/09 vom 9.2.2010,
Abs.-Nr. 90.
Der
gesetzliche Leistungsanspruch muss „stets
den gesamten existenznotwendigen Bedarf jedes
individuellen Grundrechtsträgers“ [Hervorh. d. Verf.] decken.
BVerfG, 1 BvL 1/09 vom 9.2.2010, Abs.-Nr. 137.
Es sind im Übrigen keinerlei Kriterien ersichtlich, nach
denen eine Aufteilung oder Differenzierung in „Kern“ und „Randbereich“ des
Existenzminimums willkürfrei denkbar wäre und praktisch durch den Gesetzgeber
entsprechend zugeteilt werden könnte..
Auf den Umstand der Unteilbarkeit der Leistungen hat die Bundesregierung infolge der
„Regelsatz-Entscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts vom 9.2.2010
hingewiesen:
„Im Leistungsrecht des
SGB II und des SGB XII wird entsprechend ein Regelbedarf anerkannt, der insbesondere Ernährung, Kleidung,
Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie sowie persönliche Bedürfnisse des
täglichen Lebens umfasst. Bei den sich ergebenden Regelbedarfen handelt
es sich um die Summen statistisch nachgewiesener durchschnittlicher regelbedarfsrelevanter Verbrauchs-ausgaben.
Erbracht werden die Regelbedarfe als monatlicher Pauschalbetrag, der ein
monatliches Budget darstellt. In diesem Pauschalbetrag lässt sich naturgemäß
eine trennscharfe Unterscheidung
von ,physischen` oder ,soziokulturellen` Bedarfen nicht
vornehmen. Die Verwendung dieses Betrages liegt zudem in der
alleinigen Verantwortung der Leistungsberechtigten. Rückschlüsse darauf, wofür
Leistungsberechtigte dieses monatliche Budget ausgeben, sind deshalb nicht
möglich. Eine Heranziehung der
Einkommens- und Verbrauchsstichprobe zur Bestimmung verschiedener
Existenzminima ist daher weder
erforderlich noch sinnvoll.“ [Hervorh. d. Verf.]
Bundestags-Drucksache 17/6833, Antwort Kleine Anfrage, S.
4.
Auch das
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen ist einer „Aufspaltung“ des
Existenzminimums kürzlich entgegen getreten:
„Eine
derartige Aufspaltung des Existenzminimums in einen unantastbaren physischen
Kernbereich und einen ganz oder teilweise vernachlässigungsfähigen
gesellschaftlich-kulturellen Teilhabebereich ist jedoch mit dem einheitlichen Gewährleistungsumfang
des Grundrechts unvereinbar.
Denn bietet Art. 1 Abs. 1 i.Vm. Art. 20 Abs. 1 GG - so ausdrücklich das BVerfG
(vgl. a.a.O. Rn. 90 und 129) - eine einheitliche grundrechtliche Garantie auf
die zur Wahrung eines menschenwürdigen Existenzminimums notwendigen materiellen
Voraussetzungen, so lässt dies keinen
Raum für eine Reduzierung des Grundrechts auf einen Kernbereich der physischen Existenz.
Das Minimum für die Existenz
bezeichnet vielmehr bereits denklogisch einen nicht unterschreitbaren Kern.
Der gesamte Leistungsumfang des Existenzminimums muss somit
zugleich sein Mindestinhalt sein
(so auch Neskovic/Erdem, Zur Verfassungswidrigkeit von Sanktionen bei Hartz IV
- Zugleich eine Kritik am Bundesverfassungsgericht, in SGb 2012, S. 134 ff., 137),
der ,in jedem Fall und zu jeder Zeit` gewährleistet sein muss.“ [Herv. d. Verf.]
Landessozialgericht NRW, L 20 AY 153/12 B ER, 24.4.2013,
Rn. 55.
LSG NRW, 2. Satz: "Denn bietet Art. 1 Abs. 1 i.Vm. Art. 20 Abs. 1 GG -..."
AntwortenLöschenFehlt hier vieleicht ein Satzzeichen (Punkt) bei "i.Vm."? Es ist wohl die Abkürzung für "in Verbindung mit", die meines Erachtens mit "i.V.m." verständlicher und vielleicht auch richtiger abzukürzen wäre.
Herzlichst! Detlef
Auch die GEZ-Gebühr darf das Existenzminimum nicht antasten.
AntwortenLöschenhttps://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rk20111109_1bvr066510.html