Samstag, 20. Juli 2013

Antrag: cc) Einheitliches Grundrecht


cc) Einheitliches Grundrecht

Rechtsdogmatisch lässt sich das Gewährleistungsrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum indes nicht in einen (physischen) „Kernbereich“ und einen darüber hinaus gehenden (soziokulturellen) „Randbereich“ aufteilen.

Zu teilweise abweichenden Ansichten in der Literatur s. Anhang.

Vielmehr beinhaltet es eine

einheitliche grundrechtliche Garantie, die sowohl die physische Existenz des Menschen […] als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben umfasst.“ [Hervorh. d. Verf.]

BVerfG, 1 BvL 1/09 vom 9.2.2010, Abs.-Nr. 90.

Der gesetzliche Leistungsanspruch muss „stets den gesamten existenznotwendigen Bedarf jedes individuellen Grundrechtsträgers“ [Hervorh. d. Verf.] decken.

BVerfG, 1 BvL 1/09 vom 9.2.2010, Abs.-Nr. 137.

Es sind im Übrigen keinerlei Kriterien ersichtlich, nach denen eine Aufteilung oder Differenzierung in „Kern“ und „Randbereich“ des Existenzminimums willkürfrei denkbar wäre und praktisch durch den Gesetzgeber entsprechend zugeteilt werden könnte..

Auf den Umstand der Unteilbarkeit der Leistungen hat die Bundesregierung infolge der „Regelsatz-Entscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts vom 9.2.2010 hingewiesen:

„Im Leistungsrecht des SGB II und des SGB XII wird entsprechend ein Regelbedarf anerkannt, der insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie sowie persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens umfasst. Bei den sich ergebenden Regelbedarfen handelt es sich um die Summen statistisch nachgewiesener durchschnittlicher regelbedarfsrelevanter Verbrauchs-ausgaben. Erbracht werden die Regelbedarfe als monatlicher Pauschalbetrag, der ein monatliches Budget darstellt. In diesem Pauschalbetrag lässt sich naturgemäß eine trennscharfe Unterscheidung von ,physischen` oder ,soziokulturellen` Bedarfen nicht vornehmen. Die Verwendung dieses Betrages liegt zudem in der alleinigen Verantwortung der Leistungsberechtigten. Rückschlüsse darauf, wofür Leistungsberechtigte dieses monatliche Budget ausgeben, sind deshalb nicht möglich. Eine Heranziehung der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe zur Bestimmung verschiedener Existenzminima ist daher weder erforderlich noch sinnvoll.“ [Hervorh. d. Verf.]

Bundestags-Drucksache 17/6833, Antwort Kleine Anfrage, S. 4.

Auch das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen ist einer „Aufspaltung“ des Existenzminimums kürzlich entgegen getreten:

„Eine derartige Aufspaltung des Existenzminimums in einen unantastbaren physischen Kernbereich und einen ganz oder teilweise vernachlässigungsfähigen gesellschaftlich-kulturellen Teilhabebereich ist jedoch mit dem einheitlichen Gewährleistungsumfang des Grundrechts unvereinbar. Denn bietet Art. 1 Abs. 1 i.Vm. Art. 20 Abs. 1 GG - so ausdrücklich das BVerfG (vgl. a.a.O. Rn. 90 und 129) - eine einheitliche grundrechtliche Garantie auf die zur Wahrung eines menschenwürdigen Existenzminimums notwendigen materiellen Voraussetzungen, so lässt dies keinen Raum für eine Reduzierung des Grundrechts auf einen Kernbereich der physischen Existenz. Das Minimum für die Existenz bezeichnet vielmehr bereits denklogisch einen nicht unterschreitbaren Kern. Der gesamte Leistungsumfang des Existenzminimums muss somit zugleich sein Mindestinhalt sein (so auch Neskovic/Erdem, Zur Verfassungswidrigkeit von Sanktionen bei Hartz IV - Zugleich eine Kritik am Bundesverfassungsgericht, in SGb 2012, S. 134 ff., 137), der ,in jedem Fall und zu jeder Zeit` gewährleistet sein muss.“ [Herv. d. Verf.]

Landessozialgericht NRW, L 20 AY 153/12 B ER, 24.4.2013, Rn. 55.

 

2 Kommentare:

  1. LSG NRW, 2. Satz: "Denn bietet Art. 1 Abs. 1 i.Vm. Art. 20 Abs. 1 GG -..."

    Fehlt hier vieleicht ein Satzzeichen (Punkt) bei "i.Vm."? Es ist wohl die Abkürzung für "in Verbindung mit", die meines Erachtens mit "i.V.m." verständlicher und vielleicht auch richtiger abzukürzen wäre.

    Herzlichst! Detlef

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  2. Auch die GEZ-Gebühr darf das Existenzminimum nicht antasten.


    https://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rk20111109_1bvr066510.html

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