II. Rechtsausführungen
Der Rechtsstreit ist gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG i. V.
m. §§ 13 Nr. 11, 80 BVerfGG auszusetzen, und es ist eine Entscheidung des
BVerfG darüber einzuholen, ob § 31a i. V. m. § 31 und § 31b
sowie § 32 [ggf. § 32 streichen!]
SGB II gültig sind oder wegen eines Verstoßes gegen das Grundgesetz nicht
angewendet werden dürfen.
Das Bundesverfassungsgericht
hat in jüngster Zeit bereits zweimal Gesetze, die von ihrer gesetzgeberischen
Intention her der Zusicherung des menschenwürdigen Existenzminimums dienen
sollten, aufgrund ihrer Unvereinbarkeit
mit dem Grundrecht auf ein menschenwürdiges
Existenzminimum für verfassungswidrig erklärt:
BVerfG, 1 BvL 1/09 vom 9.2.2010
(„Regelsatz-Entscheidung“),
BVerfG, 1 BvL 10/10 vom 18.7.2012 („Entscheidung zu
Leistungen im AsylbLG“).
Derzeit ist erneut ein Vorlageverfahren bezüglich der Regelbedarfshöhe nach §§ 20 ff.
SGB II anhängig (SG Berlin, S 55 AS 9238/12 vom 25.4.2012).
Das Bundesverfassungsgericht hat bisher nicht über die Verfassungsmäßigkeit
von Leistungskürzungen nach §§ 31 ff. SGB II entschieden. Dies trifft auf die alte
und neue Fassung dieser Vorschriften und ebenfalls auf die Vorgängervorschrift
des § 25 BSHG zu.
Das Bundesverfassungsgericht hat sich in seiner Entscheidung
vom 9.2.2010 lediglich mit der sogenannten Ansparkonzeption des Gesetzgebers auseinander gesetzt:
BVerfG, 1 BvL 1/09 vom 9.2.2010, Abs.-Nr. 150.
Bei diesem in § 24 Abs. 1 SGB II (entspricht § 23 a. F.
SGB II) i. V. m. § 42a Abs. 2 S. 1 SGB II etablierten Modell kommt es
aufgrund der Rückzahlung eines Darlehens vorübergehend zu einer um 10 %
verminderten Auszahlung des nach § 20 SGB II gewährten Regelbedarfs. Es
handelt sich dabei jedoch nur um eine aufrechnungsbedingte Verschiebung,
d. h. zeitversetzte Auszahlung der laufenden Leistung, nicht hingegen um ihre
absolute Verkürzung. Durch die „Ansparkonzeption“ wird über einen bestimmten
Zeitraum eine verminderte Leistung ausgezahlt, weil es zu einem früheren
Zeitpunkt zur Auszahlung eines höheren (Darlehens-)Betrages gekommen ist. Durch
die gleichsam „vorgeschossene“ Leistung besteht für die Betroffenen die
Möglichkeit eines „internen Ausgleichs“.
Sanktionen nach
§ 31a SGB II und § 32 [ggf.
§ 32 streichen!] SGB II hingegen stellen eine absolute Kürzung der Regelleistung dar, bei der es gerade keine
Möglichkeit zum Ausgleich gibt.
Das Bundesverfassungsgericht hat 1987 die kurzzeitige
prozentuale Kürzung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld aufgrund eines Meldeversäumnisses für unzulässig gehalten:
„Soweit ein Arbeitsloser aus
Unerfahrenheit, Unverständnis für Verwaltungsvorgänge, aus Unachtsamkeit oder
anderen Gründen, welche nicht als ,wichtig` i. S. des § 120 I AFG zu
qualifizieren sind, seine Meldepflicht nicht einhält, ist die ausnahmslose
pauschale Kürzung des Arbeitslosengeldes unzumutbar. [...] Dieser Personenkreis
wird jedenfalls gegenüber solchen Arbeitslosen unverhältnismäßig benachteiligt,
bei denen eine Säumnis zu keinerlei Kürzungen führt, weil ihnen etwa ein
wichtiger Grund i. S. des § 120 I AFG zur Seite steht. Beide Personenkreise
unterscheiden sich nicht so erheblich voneinander, daß die beanstandete Regelung
vertretbar wäre.“
BVerfG, 10.2.1987 - 1 BvL 15/83, NJW
1987, 1929 f. (1930).
Da das Arbeitslosengeld I im Unterschied zum
Arbeitslosengeld II eine Versicherungsleistung und damit vom Eigentumsschutz
des Art. 14 Abs. 1 GG umfasst ist, lassen sich zwar aus dieser Entscheidung keine unmittelbaren Rückschlüsse
für die verfassungsrechtliche Beurteilung von Leistungskürzungen nach dem
SGB II ziehen.
Doch eine Vielzahl von Indizien und verfassungsrechtlichen Annahmen in den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom
9.2.2010 und vom 18.7.2012, sprechen klar und unmissverständlich für die Verfassungswidrigkeit
von Sanktionen nach §§ 31 ff. SGB II.
Die Unterzeichnerin / der Unterzeichner [Auswahl treffen!] verkennt nicht, dass
das entscheidende Gericht nicht nur etwaige Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit
eines Gesetzes haben, sondern überzeugt
sein muss, dass die maßgebenden Rechtsnormen verfassungswidrig sind und wegen
des Verstoßes gegen das Grundgesetz so nicht angewendet werden dürfen. Das
Gericht muss in eigener Verantwortung entscheiden und dabei auch eine verfassungskonforme Auslegung für sich
ausschließen:
vgl. BVerfGE 68, 337 (344).
Die nachfolgend dargestellten
Argumente zielen darauf ab, das Gericht von der Verfassungswidrigkeit der
§§ 31 ff. SGB II, insbesondere von der Unvereinbarkeit des § 31a
SGB II mit dem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum aus
Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG, aber auch mit Art. 12 Abs. 1 GG,
Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG und Art. 3 Abs. 1 GG, zu überzeugen.
Ist der Satz weit unten am Ende des Textes so Richtig?
AntwortenLöschenDer Satz um den es geht : "Das Gericht muss in eigener Verantwortung entscheiden und dabei auch eine verfassungskonforme Auslegung für sich ausschließen:"
Oder muss dieser nicht doch so lauten "......eine nicht verfassungskonforme......."
Vielleicht irre ich, und habe es einfach nur nicht richtig verstanden.
"...Vielleicht irre ich, und habe es einfach nur nicht richtig verstanden."
LöschenSo sehe ich es. Erst wenn eine verfassungskonforme Auslegung vom Gericht ausgeschlossen wird, wird das Gericht zur Überzeugung gelangen (wie es im Satz darüber steht), dass ein Gesetz so nicht angewandt werden dürfe.
Es geht also um die Frage, wann ein Handlungsbedarf und somit auch diese beantragte Richtervorlage nötig wird.
Herzlichst! Detlef
Aha (Effekt)...danke Detlef :)
AntwortenLöschen"Sanktionen nach § 31a SGB II und § 32 [ggf. § 32 streichen!] SGB II hingegen stellen eine absolute Kürzung der Regelleistung dar, bei der es gerade keine Möglichkeit zum Ausgleich gibt."
AntwortenLöschenBei diesem Satz können die Befürworter der Sanktionen (zu denen ich eindeutig nicht gehöre) argumentieren, dass ab einer Kürzung von 30% der Regelleistung Lebensmittelgutscheine beantragt werden können. Allerdings besteht kein Rechtsanspruch auf einen solchen und er kann erst ab einer 30% Kürzung gezahlt werden.
Diese Anmerkung ist als zusätzliche Argumentationshilfe zu sehen.
lg und viel Erfolg beim Kampf für die Menschenwürde
Marcel